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Die Jahre 1984/85 standen für die Löberitzer Schachfreunde ganz im Zeichen der Vorbereitung auf das 115. Gründungsjubiläum des Löberitzer Schachclubs im Juni 1986. Dabei nutzten sie jede Möglichkeit um an Belege über die Löberitzer Schachtradition heranzukommen.

Eine Hinweis über die ersten Jahre des Löberitzer Schachclubs konnte einem Artikel des „Zörbiger Boten“ aus dem Jahre 1903 (Sa., 06.06.1903, Nr. 66, Seite I / Rubrik: Lokales und Provinzielles) entnommen werden.

Zörbiger Bote, 06.06.1903

Dort wurde anlässlich der Ankündigung des Stiftungsfestes des Löberitzer Schachvereins auf einen Pastor Johann Melchior Kirsch verwiesen, der in der Zeit der Vereinsgründung in Löberitz als Hauslehrer beschäftigt war und dabei das Schachspiel nach Löberitz gebracht haben soll. In diesem Artikel wurde auch mitgeteilt, daß Kirsch zurzeit, also um die Jahrhundertwende, in Ammendorf wirkte. Diese Mitteilung war Grund genug um der Sache nachzugehen. Deshalb wurde am 29.09.1985 an alle Evangelischen Kirchen des damals noch selbständigen und jetzt zur Stadt Halle gehörenden Ortes Ammendorf ein Brief mit der Anfrage nach dem Verbleib des Pastors Kirsch verschickt. Am 31.10. gleichen Jahres erfolgte die Eingangsbestätigung des Briefes durch Herrn Pfarrer W. Binnewies vom Evangelischen Pfarramt „St. Wenzel“ in Ammendorf mit der Mitteilung sich dieser Sache anzunehmen. Am 03.02.1986 kam dann ein ausführlicher Brief. Daraus geht hervor, daß Johann Melchior Kirsch am 6. Januar des Jahres 1844 geboren wurde. In Ammendorf war er in der Evangelischen St. Katharinen-Gemeinde vom 20.01.1889 bis zum 01.04.1909 tätig. Das erfreulichste war aber die Mitteilung, daß im Pfarrhaus der St. Katharinen-Gerneinde von ihm ein von dem Halleschen Maler Otto Gebhardt geschaffene Ölgemälde hängt. Also wurde umgehend mit Pfarrer Binnewies ein Termin vereinbart und das Gemälde fotografiert.

Das Pfarrhaus war unbewohnt, befand sich ab noch in einen guten Zustand, während die Kirche zu dieser Zeit nicht mehr benutzt wurde. Die Seelsorge der Ammendorfer Gemeinden erfolgte nur noch von „St. Wenzel“ aus. Damals wurde mit einer Exa 1b allerdings nur ein, zu dieser Zeit übliches Schwarz-Weiß-Foto gemacht.

Ölgemälde J.M.Kirsch, Ammendorf 1986

Das Foto diente dann dem Halleschen Maler Franz Dießner als Vorlage für die bekannte Portraitzeichnung. Nur durch diesen Zufall und der Hilfe durch Pfarrer Binnewies war es möglich, Johann Melchior Kirsch auch optisch in die Löberitzer Schachgeschichte einzubinden. Später wurden dann durch die Hilfe unseres langjährigen Vereinsmitgliedes, des damaligen Sandersdorfer Pfarrers Bernd Gaus, und der Naumburger Schachfamilie Mertens noch weitere Einzelheiten zu Kirschs Leben ermittelt. Nun steht das 150. Vereinsjubiläum vor der Tür und in dem geplanten Buch müssen einige früheren und inzwischen überholten Erkenntnisse nachgebessert werde. Dazu gehört auch ein Farbfoto von Johann Melchior Kirsch. Also stand an einem Montag im Mai die Katharinen-Kirche in Ammendorf als Ziel auf dem Programm.

Mit dem Fahrrad abseits der normalen Straßen ging von Zörbig über Löbersdorf, Göttnitz, Stumsdorf, Rieda und Kütten zwischen den Brachstedter Bergen und dem Petersberg mit einer Autobahnüberquerung bis zum Entsorgungsunternehmen Tönsmeier südlich von Oppin. Von Rieda bis dorthin geht es stetig bergauf. Das alles noch bei Gegenwind. Von Tönsmeier fällt das Gelände auf einem traumhaften Fahrradweg langsam ab. Kurz vor Halle-Trotha wird es dann sogar steil. Das Bett der Saale ist nicht mehr weit. Nach einem Zwischenstopp unter Angabe von Namen und Anschrift auf ein Bier in der Innenstadt ging es weiter über die Südstadt und Beesen nach Ammendorf. Da ich eine Stunde früher da war traf ich nicht mit dem zuständigen Pfarrer Hans Martin Golz zusammen, sondern mit einem freundlichen Gemeindearbeiter. Der Herr ermöglichte mir die Möglichkeit das Gemälde zu fotografieren. Dieses Mal in Farbe.

Johann Melchior Kirsch

Während bei meinem ersten Besuch 1986 das Pfarrhaus noch intakt und die Kirche geschlossen war, hatten sich die Verhältnisse etwas geändert. Das Pfarrhaus ist verkauft worden und wird als Wohnhaus genutzt. Die Kirche dagegen ist inzwischen saniert und macht einen einladenden Eindruck. Deshalb hat das Ölgemälde in der Kirche unter der linken Seitenempore einen neuen Platz gefunden. Am späten Nachmittag ging es mit einigen Erleichterungen zurück in die Heimat. Mit dem Fahrrad zum Hauptbahnhof und dann mit dem Zug nach Stumsdorf. Von dort aus wieder mit dem Fahrrad über Göttnitz und Löbersdorf nach Zörbig. Durch die schon erwähnten Informationen von Pfarrer Bernd Gaus und Silvia Mertens können wir uns ein neues Bild über das Leben des Johann Melchior Kirsch machen. Das sieht dann so aus und findet in der „Löberitzer Schachchronik“ folgenden Niederschlag: Johannes Melchior Kaspar Baltharsar Kirsch, so sein vollständiger und sich wegen seines Geburtstages zum Fest der Hl. Drei Könige beziehende Name, wurde am 6. Januar 1844 in Leuth als Sohn des 1877 verstorbenen und in Straßburg / Elsass tätigen kgl. Zolleinnehmer und Zollbeamten Johann Peter Kirsch geboren. Er besuchte das Gymnasium Gütersloh und Cleve und studierte von 1868 bis 1872 an der Universität zu Halle. Zur Finanzierung des Studiums war er in Löberitz bei Zörbig als Privatlehrer tätig. Dabei brachte er das Schachspiel nach Löberitz und begründete gemeinsam mit dem Gashofbesitzer Friedrich Franz Ohme 1871 den „Löberitzer Schachklub“. Nach Beendigung des Studiums war er als Lehrer in einer Privatschule in der Schweiz und dann als Rektor in Neutomischel / Wartheland tätig. Am 10. Oktober des Jahres 1882 ehelichte er in Halle a. d. Saale Theresia Marie Friederike Weber, die Tochter des Bäckermeisters Gustav Christoph Weber. Aus dieser Ehe gingen vier Kinder, drei Jungen und die 1884 in Pyrehne geborene und später mit dem Großjenaer Pfarrer Georg Werner verheiratete Tochter Johanne Antonie Margarete, hervor. 1886 legte er in Berlin das 2. Examen ab, wurde am 10.10.1886 ordiniert und einen Tag später vereidigt. Von 1886 bis 1887 wirkte er als Hofprediger in Pyrehne b. Landsberg a. d. Warthe, von 1887 bis 1889 als Pfr. in Landsberger Holländer1 an der Warthe und von 1889 bis 1909 als Pfarrer in der St. Katharinen-Kirche zu Ammendorf. Am 22. März 1897 erhielt Kirsch für seine Teilnahme am Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 die aus Anlass des 100. Geburtstages Kaiser Wilhelms I. gestiftete Centenarmedaille2.

Johannes Melchior Kaspar Balthasar Kirsch starb am 7. Mai 1913 in Naumburg. Sein Grab im I. Quartier Nr. 162 des städtischen Friedhofs Naumburg3 wurde nach Beendigung der Liegezeit am 31. März 1944 von den Nachkommen aufgegeben4. Durch das in Ammendorf hängende Ölgemälde ist er uns visuell präsent geblieben und durch die von ihm initiierte Löberitzer Schachtradition konnte sein Werk nun schon 150 Jahre fortgeführt werden.

Federzeichnung J. M. Kirsch von Franz Dießner, 1986

 

1 Poln. Chwalowice.

2 Diese Medaille  wurde an alle 1897 dienenden Armeeangehörigen und die noch lebenden Veteranen der Kriege von 1848, 1864, 1866 und 1870/71 vergeben.

3 Pfarrerbuch der Kirchenprovinz Sachsen, Bd. 4, Hrsg. Verein für Pfarrerinnen und Pfarrer in der Ev. Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, 2006, mit weiterführende Quellen zu Kirsch: AKPS; Sammlung Machholz, PfarrAlm. 1809/09; Fischer, Pfrbuch Brbg., Kb Ammendorf.

4 Mitteilung der Stadt Naumburg vom 5. Oktober 1943 an Frau Stud.-Rat Metzner, Archiv Schachmuseum Löberitz.

 

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Endstand 1. Bkl Dessau 2023/24


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